Am 20. September 1945 fassten die Alliierten schließlich den Beschluss, das Potsdamer Abkommen auch auf die nach Österreich vertriebenen Volksdeutschen anzuwenden. Am 8. Januar 1946 begann die Registrierung der Volksdeutschen. In der US-Zone waren dafür eigene volksdeutsche Delegationen verantwortlich. In der russischen Zone erfolgte die Registrierung nach einer Weisung vom 19. Januar 1946 bei den zuständigen Bezirkshauptmannschaften. Im Anschluss kamen die Heimatvertriebenen ins Sammellager Melk. Die ersten Repatriierungen erfolgten aus der russischen Besatzungszone. Im Zeitraum von Januar bis August 1946 wurden in 56 Transporten rund 71.000 Personen aus dem Sammellager Melk nach Deutschland repatriiert.10
Davon waren mindestens zwei Drittel Volksdeutsche. In der amerikanischen Zone begannen die Repatriierungen am 21. Januar 1946 und dauerten bis Ende 1947. Bei den Franzosen setzen die Repatriierungen mit Anfang 1946 ein und beschränkten sich bis Mai 1946 auf 4 Transporte. Ähnlich gering war die Zahl der repatriierten Volksdeutschen aus der britischen Besatzungszone. Die Repatriierungen aus den österreichischen Besatzungszonen umfassten 165.000 Personen, wovon 160.000 in die amerikanische und ein viel kleinerer Teil von nur 5000 in die sowjetische Besatzungszone kamen.11
Der Großteil von ihnen waren Volksdeutsche. Ausgenommen von den Repatriierungen waren Reichs- und Volksdeutsche, die a.) vor dem 13. März 1938 in Österreich einen Wohnsitz hatten, wobei sicher gestellt werden musste, dass sie in der NS-Zeit keine Staatsbeamten und b.) keine ausgewiesenen Nationalsozialisten gewesen waren und sich auch in keiner anderen Form für das NS-Regime dienstbar gemacht hatten sowie c.) Personen, die aufgrund ihrer Religion, Rasse oder politischen Überzeugung vom NS-Regime Verfolgungen erlitten hatten.
Der österreichischen Bundesregierung kam jetzt erst zu Bewusstsein, dass dem Land durch die Repatriierungen wertvollste Arbeitskräfte verloren gingen, für die es keinen Ersatz gab. Wie sah denn die Situation auf dem österreichischen Arbeitsmarkt in der Landwirtschaft oder in der Stahl- und Metallindustrie aus? Während des Krieges konnten die Österreicher, die zur deutschen Wehrmacht eingezogen worden waren, durch die NS-Zwangsarbeiter ersetzt werden. Nach dem Krieg kam es plötzlich in der österreichischen Arbeitswelt zu einem Engpass. Es waren jetzt die Heimatvertriebenen, die mit ihrem Fleiß die NS-Zwangsarbeiter ersetzten und überall dort einsprangen, wo in der Landwirtschaft die Österreicher wegen der hohen Kriegsverluste fehlten.
In Wien intervenierte man zwar bei den Alliierten gegen die Repatriierung der arbeitsfähigen Volksdeutschen, konnte aber nur wenig erreichen. Die Tüchtigen und Fleißigen wollte man also behalten, nach Deutschland abgeschoben werden sollten nur die Alten und Kranken. Die überfüllten Lager in Deutschland beendeten die Repatriierungen. Das Problem mit den Heimatvertriebenen konnte damit nur teilweise gelöst werden. Die Lage in den Lagern hatte sich für Österreich nicht entspannt! Wer aber war zuständig für die Volksdeutschen? Waren es diejenigen, die sie vertrieben hatten? Waren es die Alliierten, die in Potsdam die Aussiedlung bestimmt hatten? War es Deutschland oder war es Österreich? Alle diese Fragen sollten sich erst mit den Jahren beantworten lassen. Wie aber war die Flüchtlingsbetreuung in Österreich 1945 organisiert?
10 Helmut Matejka, Die Eingliederung der Sudeten- und Karpatendeutschen in Österreich nach 1945. S. 162.
11 Eduard Stanek, Verfolgt, verjagt, vertrieben. Flüchtlinge in Österreich von 1945-1984. Wien 1985, S. 197.